Fragmente an Fiore

Das Bildnis der jungen Frau von Sandro Botticelli – man vermutet, dass Simonetta Vespucci Modell gestanden hat – ist nur ein Sinnbild für diese Fragmente, inspiriert von einer reellen jungen Frau.

Sandro Botticelli: Bildnis einer jungen Frau


Fragment an Fiore I

Mit jedem noch so kleinen Funken meiner Liebe, keimt in mir die Angst, dich zu einer Projektionsfläche meiner Sehnsüchte zu machen, oh Fiore. Wie soll ich so vergeistigt wissen, ob ich lieben kann, wenn schon der zarteste Anbeginn im Schatten der Grübelei steht, in dem du, Fiore, dich umsonst nach der Sonne sehnen würdest, zöge ich dich an mich. Wie kann ich wissen und sehen, wenn ich selbst diese Schatte nicht verlasse. Was gäbe ich darum, dich, oh Fiore, mit einfachen Augen zu sehen, mit einem naiven Geist. Aber würde ich dann vielleicht nichts Besonderes in dir schauen, da sich deine Gestalt erst einem geschulten Geist in all ihrer Anmut und wahrhaftigen Größe zeigt?
Schon der Gedanke daran, dich, Fiore, zu lieben, bringt mich zur Ratlosigkeit. Wie ist, ach, die Liebe schwer, will man sie nicht leichtfertig leben.


Fragment an Fiore II

Oh, Fiore, dein Antlitz sehe ich in meinen sonst so gesichtslosen Träumen und du siehst mich darin an mit Augen wie die irische See, hell und klar an der Oberfläche und einem Grund auf dem ich liegen möchte, werde ich eines Tages sterben.
Aber, Fiore, du bist nur in meinen Träumen, am Tage wehrt sich mein Geist, der sich mit Einsamkeit schützt. So sind denn die Tage, Fiore, kälter als die Nächte.


Fragment an Fiore III

Fiore, gleich einer Renaissance-Schönheit eines Botticelli malen meine Gedanken immer wieder dein Bild vor mein geistiges Auge als fortwährendes Palimpsest, damit nicht verlischt, was ich mit allen Sinnen wahrgenommen. Oh, mögen die Farben nicht verblassen, möge die imaginäre Hand, die den Pinsel führt, nicht müde und zittrig werden.


Fragment an Fiore IV

Fiore, in meinem Garten stehen Statuen von dir, die ich mit eigenen Händen aus dem Stein gehauen habe, bis diese bluteten. Es sind Idealbilder von dir und ich suche in der Arbeit, dich immer wieder neu zu erschaffen, die Absolution, da ich dich selbst nicht in meinen Garten gelassen habe, aus Angst, das scheinbare Idyll könnte gestört werden. Nun, Fiore, erinnert Marmor an dich – vollkommen und kalt, weil ich das vermeintlich nicht Perfekte aber warme und beseelte scheute.


Fragment an Fiore V

Fiore, leichtfüßig wandelst du auf dem Styx und lockst mich weg vom Ufer. Ich aber weiß, dass das Wasser mich nicht trägt und eine Münze habe ich nie besessen. Mit den Füßen bereits im Nass zieht es mich nach beiden Seiten, in die Leere vor mir, in die Leere hinter mir.
Fiore, Angst habe ich um meine Seele, wenn ich die deine rette.


Fragment an Fiore VI

Träume, Fiore, sie sind flüchtig wie du, sind nur Kinder der Nacht wie du. Des Tages Klarheit vertreibt den dunklen Rausch, der bittersüß in den Synapsen klebt. Verlasse ich die Nacht, muss ich dich zurücklassen und erst der Abend formt und malt dich neu, lässt dich vor meinem geistigen Auge und unverhofft auch real entstehen. So wandle ich zwischen den Welten, da ich die Bilder der Nacht nicht loslassen kann, aber in der Dunkelheit allein in Agonie verfallen würde.


Fragment an Fiore VII

Fiore, die Sterne weisen dir den Weg auf unruhiger See zu einem sicheren Hafen, der dich vor den Unbilden der Meere schützt. Kurz ist unsere Reise unter dem Firmament im Angesicht der Ewigkeit der Gestirne. Rau und unberechenbar ist die See, schön und voller betörender Weite zeigt sie sich ebenso.
Ich wünsche dir ein Ankommen.


Fragment an Fiore VIII

Fiore, ich will dich nicht mit der Schwere meiner Traurigkeit erdrücken, nicht meine Nacht über dein Leben legen. Keine Worte mehr verlassen meinen Mund, ich bin des Redens müde, all meine Gedanken sind müde. Wie könnte ich in deine schönen Augen schauen mit meinen Augen, aus denen die Dunkelheit herausquillt wie Pech von den Zinnen einer Burg zur Abwehr der Feinde? Nein, mit solchen Augen schaue ich dich nicht an, Fiore.


Fragment an Fiore IX

Fiore, wirst du immer nur ein Gemälde bleiben? Immer nur eine Statue im Garten meiner Gedanken?
Würdest du aus meinen Träumen heraus, von den Idealbildern zu Fleisch und Blut, dann würdest du sterblich werden wie ich. Was also wünschen, wenn sich die Lippen nach einer warmen Erwiderung eines Kusses sehnen? Was also wünschen, wenn der Geist sich an dem Idol erwärmt?
Und doch, Fiore, für den Wimpernschlag eines kurzen Lebens möchte ich deine Hand in der meinen halten und mit Worten dein Herz berühren.


Fragment an Fiore X

Fiore, warum quälst du mich mit süßen Träumen, in denen ich in der Gunst deiner Klugheit und Schönheit verweilen darf, um dann mit der schmerzenden Erinnerung in das irdische Dasein zurückzukehren. So halte ich die Traumbilder fest, die wie Eis in den Tag hinein schmelzen. Zurück bleibt kühle Leere und der Wunsch, ewig zu träumen, um bei dir zu sein.



Fragment an Fiore XI

Fiore, mit deinem Bildnis an meinen Wänden, deinen in Alabaster gehauenen Ebenbildern in den Labyrinthgärten meiner Gedanken, hast du die Dämonen geweckt, die in mir wohnen und bis dato schliefen, bis sie, wie auch ich verzaubert von dir, erwachten und nun – wie ich selbst – ruhelos und unstetig umhergeistern und alles in Chaos stürzen, was vermeintlich vorher sich in geordneten Bahnen bewegte.
Die Dämonen speien einen pechzähen Nebel, der sich auf alles legt und alles nachtgleich macht. Das Dunkel der Dämonen schluckt auch deine Abbilder, Fiore, die Gedanken an dich, die sich in der wabernden Masse verlieren zu scheinen.


Fragment an Fiore XII

Fiore, ich bin zurück in meiner bilderlosen Welt. Kein Licht welches erhellt, kein Licht welches blendet. Und ohne inneres Licht keine Projektionen, keine Träume.
Auch wenn es schön ist zu träumen, bleibt am Schluss nur die Leere nach dem Traum.
Nachtschwarz sind die Gefilde meiner Gedanken, in die ich heimgekehrt bin.


Fragment an Fiore XIII

Fiore, von Zeit zu Zeit lege ich Blumen auf dein Grab in meinen Gedanken.
Es fällt mir leichter, Idealbilder als solche sterben zu lassen, als diese sich in der Realität auflösen zu sehen. Die Scheu, dass das Banale das von mir zur Kunst Erhobene verblasst, bestimmt mein Denken und Handeln. So tagträume ich durch die Galerie der verklärten Erinnerungen, vermeintlich unverletzlich vor den Unbilden des Lebens an denen der hohe Gedanke der Liebe stets zerbrochen ist.
Weiße Lilien für dich, Fiore.


Fragment an Fiore XIV

Fiore, kalt ist es in der Gruft, in der ich schneller verwittere als das in Stein gehauene Abbild deiner Schönheit.
Zeit hat jegliche Bedeutung verloren in der Trostlosigkeit des Todes. Je länger der betrachtete Zeitraum, umso mehr wird das »Fließen der Zeit« zu einem breiiges Etwas, das irgendwann zu einer zähen Masse erstarrt, deren Auseinanderdriften mit purem Auge nicht mehr wahrzunehmen ist.
Alles war Kunst. Du, Fiore, auf einem Sockel; du, Fiore, auf der Leinwand verewigt und doch nicht ewig. Du, Fiore, als Seele meiner Worte auf dem Papier.
Der letzte Akt der Kunst ist ihr Vergehen.

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